
NÖN, 13.7.25
Macht versus Missbrauch: Ein Kampf, den Salome nicht gewinnen kann
Können biblische Figuren neu gesehen, neu interpretiert werden? Im zweiten Jahr des neuen Leitungsteam des Festivals Retz – zugleich das 20. Jahr des Bestehens – muss die Frage eindeutig mit „Ja“ beantwortet werden. Ein heutiger Zugang ist dabei durchaus hilfreich, um zum Beispiel eine Figur wie Salome in ein neues Licht zu rücken. Die Premierenkritik.
Mit der Projektion eines Sonnenaufgangs im Altarraum der Stadtpfarrkirche St. Stephan begann die Premiere von „Salome“ beim Festival Retz. Schon bald aber lassen wehende Tücher, die den Thronsaal von Herodes und seiner Gattin Herodias durchlüften, auf drohendes Unheil schließen. Der König (Fernando Aarón García-Campero Gómez mit einem Bariton, der keinen Widerspruch duldet), fesch mit Frack herausgeputzt – gilt es ja, sein Geburtstagsfest zu feiern -, wirkt wie ein Gemälde seiner selbst.
Gemeinsam mit seiner Königin (Carolina Lippo, ein einschmeichelnder Sopran, vor dem man sich in Acht nehmen sollte) ergeben die zwei ein pittoreskes Herrscherpaar. Auf den sich im Kirchenraum verjüngenden Projektionsflächen sind im übertragenen Sinn die Vorbereitungen für das anstehende Fest zu sehen. Und bald darauf treffen die ersten Gäste – im Film gespielt von Retzern, die sich zahlreich für die Dreharbeiten zur Verfügung stellten – ein.
Wie das so ist mit Gästen – manche kommen auch uneingeladen, wie in diesem Fall Johannes der Täufer, der bei seinem Auftritt erst mal mit der Kirchentür knallt. In der Inszenierung von Choreografin Jasmin Avissar und Medienkünstlerin Nicole Aebersold ist der stimmgewaltige Prediger mit einer nicht zu vernachlässigenden Anhängerschaft eine Frau, nämlich Chiara Brunello, deren Stimme mit raffinierter Expressivität überzeugt.
Barfuß und mit Tränen in den Augen tritt sie Herodes gegenüber und prangert mit Wucht seine Sündhaftigkeit an, die Frau seines Schwagers, die gleichzeitig seine Nichte ist, geheiratet zu haben. Der Figur des Johannes ist filmisch ein eigenes Motiv gewidmet: die Stadtpfarrkirche im Gegenschnitt. Je konsequenter der Prediger seine Vorwürfe vorträgt, umso mehr füllt sich der (projizierte) Kirchenraum mit Gläubigen.
Sehr klar, wie gefährlich Johannes für Herodes werden kann, verdeutlicht eine Szene, in der die Kirchenbesucher im Film auf jede Handbewegung des Predigers reagieren. Da wird klar, der Mann kann die Menschen im wahrsten Sinn des Wortes mobilisieren. Der machtbewusste König hat an der Stelle genau zwei Möglichkeiten: sich vor seinem Volk als Sünder brandmarken zu lassen, was der Reputation wohl eher abträglich wäre.
Oder er kann seine Frau „austauschen“, wie er es schon mit seiner ersten Frau getan hat. Damit sieht Herodias ihre Felle davonschwimmen und Johannes wird umgehend ihr persönlicher Staatsfeind Nummer eins. Und da läuft Lippo erst zur Höchstform auf. Ihre Herodias ist nicht nur durch ihr konsequentes Handeln gefährlich, sondern auch durch die Eleganz, mit der sie ihre Kaltblütigkeit kaschiert. Diese Dame möchte man nicht zum Feind haben.
Reizvoller Kontrast zur Bilderflut auf den Leinwänden war die Kargheit der Ausstattung. Lediglich vier Stühle reichen der Ausstattung von Hartmut Schörghofer. So wird eine dieser Sitzgelegenheiten symbolisch zum Kerker für Johannes, nachdem ihm der Stuhl davor von Herodias mit vergifteter Freundlichkeit angeboten wurde. Ein gelungenes Beispiel dieser Inszenierung für weniger ist mehr. Liegt aber auch an der intensiven Darstellung von Carolina Lippo.
Eindringlich auch die filmische Symbolik, die die Schweizerin Aebersold für die Figur der Salome(Anna Piroli, stimmlich sanftmütig) ersonnen hat. Ein Granatapfel, der zunächst von Frauenhand gestreichelt wird, um in der Auftrittsszene von Anna Piroli als Salome von ebendieser Hand mit einem Messer bedrohlich liebkost zu werden. Für diese Assoziation half es, zu wissen, dass der Granatapfel beziehungsweise dessen Kerne eine hohe Symbolkraft besitzen.
Nach einem jüdischen Mythos hat der (perfekte) Granatapfel 613 Kerne, die Zahl der jüdischen Mitzwot (Gebote), die die Tora laut Talmud enthält. Er ist aber auch ein Symbol für Leben und Fruchtbarkeit ebenso wie für Macht – als Reichsapfel -, Blut und Tod. In der christlichen Symbolsprache kann der Granatapfel für die Kirche als „Ekklesia“ stehen, als Gemeinschaft der Gläubigen. Darüber hinaus symbolisiert er das Enthaltensein der Schöpfung in Gottes Hand, also der Vorsehung.
Mit der Figur, die im Programmheft mit „La Danza“ angeführt ist, verkörpert von Tänzerin und Choreografin Jasmin Avissar, zieht das weibliche Regie-Duo eine weitere Ebene ein: Salome trifft auf ihr eigenes Selbst; in fleischfarbenem Kostüm mit Markierungen, die man wahlweise als Kennzeichnungen für Schönheits-OPs oder als Beschriftung für die verwertbaren Teile eines Tieres interpretieren konnte.
Diese Salome, also Anna Piroli, die kostümtechnisch (Claudia Posekany) recht brav daherkommt und nur in Nuancen ihres Spiels den Widerspruch durchschimmern lässt, weiß sich stimmlich durchzusetzen. Allegorisch soll die Figur von Avissar – als Alter Ego – den Seelenzustand widerspiegeln. Der reicht bis zur Instrumentalisierung ihrer Person als Handlangerin ihrer Mutter, wobei diese nicht die Einzige ist, die Interesse an Salome anmeldet.
All diese Neurosen der Mächtigen erträgt Johannes der Täufer geduldig im Kerker. Bis ihm ein Engel (Cornelia Sonnleithner) von der verschleierten Kanzel herab – was die Figur gespenstisch, mystisch oder selbst in Fesseln gelegt erscheinen lässt – seine bevorstehende Enthauptung verkündet. Sehr zur Empörung des Engels „über so viel Edelmut“ vergibt der Prediger seinen Mördern, wünscht ihnen „Pace“, also Frieden, und geht gefasst seinem Schicksal entgegen.
Der Moment, der die Qualität einer Aufführung auszeichnet, ist der, wenn an ihrem Ende erst mal Stille regiert. Die Bilderflut und die markanten Stimmen samt der engagierten Interpretation des brillanten Ensembles Continuum unter der Leitung des Chefdirigenten Luca De Marchi machten ein Durchschnaufen durchaus nachvollziehbar. Danach brach sich nur noch pure Begeisterung Bahn; samt ehrlich erarbeitetem stehenden Applaus des Publikums.
(Christian Pfeiffer, 13.7.25)
Johannes der Täufer ist ob der Zustände, die er in Herodes‘ Herrschaftsbereich vorfindet, in Gestalt der ausdruckstarken Chiara Brunello mehr als bestürzt, und wird zur Gefahr für König und Königin gleichermaßen. Foto:
