
DIE PRESSE, 14.7.25
Oper in Niederösterreich: Eine Enthauptung, eine Edelkurtisane
Festivals. In Retz zeigt man eine barocke Variante des biblischen Salome-Stoffes und lässt den todgeweihten Johannes den Täufer umtanzen. …Von Josef Schmitt
Beispielhaft demonstrierte das vergangenen Wochenende die große musikalische Bandbreite des sommerlichen Opernprogramms in Niederösterreich. In Retz brachte Intendant Christian Beier eine Kirchenoper von Antonio Maria Bononcini, in Gars am Kamp setzte Festivalchef Clemens Unterreiner Verdis „La Traviata“ auf sein Festival-Programm.
Schon der Titel der 1709 in Wien uraufgeführte Kirchenoper „La decollazione di San Giovanni Battista“ verrät, worum es geht: „Die Enthauptung Johannes des Täufers“. Knapp 200 Jahre vor Richard Strauss schrieb Bononcini eine Kirchenoper über den Salome-Stoff, die den Solisten eine durchaus opernhafte Darstellung erlauben würde. Leider machte man nur eingeschränkt von dieser Möglichkeit Gebrauch. Das Regieteam, die Schweizer Filmschaffende Nicole Aebersold und die israelische Choreografin Jasmin Avissar, fokussierte die Inszenierung auf animierte Videoprojektionen und die Einbindung einer neuen Figur, „La Danza“, für die Choreografin und Ausdruckstänzerin hinzuerfunden.
Die Videoprojektionen animierten mit filmischen Mitteln – und der Retzer Bevölkerung in den Weingärten – Lippis Fresco „Das Fest des Herodes“, großflächig projiziert auf das Bühnenbild von Hartmut Schörghofer im Altar-Bereich, aber ohne erkennbaren Zusammenhang zu Bononcinis Musik.
Die klang dafür virtuos, weil Luca De Marchi und das Ensemble Continuum Wien bereits bei der Introduktion mit vierfachem Kontrapunkt brillieren konnten, stets fokussiert auf authentische barocke Klangfarben. Die Titelpartie des Johannes, ursprünglich natürlich von einem Kastraten-Alt mit kräftigen Lungen gesungen, gestaltete die italienische Mezzosopranistin Chiara Brunello mit samtiger natürlicher Tiefe und Ausdruckskraft, die nicht nur den vokalen Anforderungen der Partie mehr als gerecht wurde, sondern mit charismatischer, expressiver Bühnenpräsenz ihre Barock-Kompetenz unter Beweis stellen konnte.
Zur Entstehungszeit waren auch Herodias und Salome Soprankastraten. Nur der als moralischer Schwächling gezeichnete Herodes war einem Bass vorbehalten. Carolina Lippo, stimmlich und darstellerisch souverän als Herodias, schärfte ihr markantes Timbre in den dramatischen Passagen intensiv nach. Der Herodes von Fernando Aarón García-Campero Gómez punktete mit kernigem, profund timbriertem Bass, sicherer Stimmführung und entsprechend exakten Koloraturen. Seine majestätische Erscheinung kontrastierte eindrucksvoll mit der Charakterschwäche dieser Herrscherfigur.
Der leichte, wohltuend klare Sopran Anna Pirolis, der Salome, tendierte in den Forte-Passagen zur Schärfe. Cornelia Sonnleithner gab dem Engel vokale Würde. …
(Josef Schmitt / Die Presse)