
DER STANDARD, 14.7.25
Multimediale „Salome“ fordert den Kopf des Johannes
Beim Festival Retz vermitteln Nicole Aebersold und Jasmin Avissar eine alte Geschichte so fantasievoll wie zeitgemäß. Auch das musikalische Niveau ist hoch.
Die Figur La Danza, verstrickt in innere Konflikte und äußere Abhängigkeiten: Tänzerin und Regisseurin Jasmin Avissar versinnbildlicht das in „Salome“ mit einem 48 Meter langen Schleier. Es ist ein sinnvoller Kunstgriff, La Decollazione di San Giovanni Battista mit dem Begriff Salome neu zu betiteln. Das Oratorium von Antonio Maria Bononcini, das 1709 in Wien uraufgeführt wurde, birgt schließlich in sich als Kern die Geschichte jener jungen Frau, die den Kopf von Johannes dem Täufer fordert und die Richard Strauss in seiner seinerzeitigen Skandaloper Salome tiefenpsychologisch-ekstatisch ins Zentrum gerückt hat.
Zum 20-Jahr-Jubiläum des Festivals Retz wird in der Stadtpfarrkirche St. Stephan auch inszenatorisch nicht einfach eine Geschichte in altehrwürdig-sakraler Manier erzählt. Die Regie, die sich abstrakt auch an der barocken Gestensprache orientiert, beeindruckt durch ihre behutsame Mehrschichtigkeit. Der Kirchenraum verwandelt sich in einen so sparsam wie bewegungsgestisch präzise choreografierten Spannungs- und Sehnsuchtsort der Figuren.
Vertanzte Konflikte
Nichts ist zufällig. In der ritualisierten Abstraktheit der Bewegungen werden die Emotionen der Figuren jederzeit offenbar. Inmitten all der Spannungen, die zwischen Herodias, Herodes, Salome und Johannes bestehen, zelebriert die Figur der La Danza, die von einer der beiden Regisseurinnen, also Jasmin Avissar, dargestellt wird, existenzielle Grenzbereiche. Mit einem 48 Meter langen Schleier wird die Verstrickung in innere Konflikte und äußeren Druck ästhetisch ausgestaltet.
Zu dieser Personenregie gesellt sich als atmosphärische und inhaltliche Aufladung die filmische Ebene. Sie zeigt Personen im Kirchenraum. Sie zeigt zu lebenden Gemälden sich formende, abstrakte Nahaufnahmen biblischer Früchte. Zudem entführt Animationskünstlerin Nicole Aebersold in die Weinviertler Natur. Menschen bahnen, in Anlehnung an das Fresko Das Fest des Herodes von Filippino Lippi, im Freien eine langsam und leicht aus dem Ruder laufende Tischgesellschaft an.
Tolle Stimmen
Das wirkt stimmig und präzise hinzugedacht und verschmilzt gut mit der musikalischen Umsetzung. Unter der Leitung des Dirigenten Luca De Marchi zeigt das Ensemble Continuum Wien Verve und kontrapunktisches Feingefühl. Und da Anna Piroli (als Salome), Carolina Lippo (als Herodias), Chiara Brunello (als Johannes), Cornelia Sonnleitner (als Angelo) und Fernando Aarón García-Campero Gómez (als Herodes) impulsiv und klar singen, kann man nicht anders, als dieser „Azione Sacra“ sehr hohes Niveau zu bescheinigen.
(Ljubiša Tošić, 14.7.2025)
